von Lothar Adam
Das Museum Folkwang präsentiert
vom 7. Juni bis zum 25. August 2019
die erste große Nancy Spero-Retrospektive in Deutschland.
„Die USamerikanische Künstlerin Spero (1926–2009) hat sich zeitlebens mit existenziellen Aspekten des Menschseins auseinandergesetzt. Krieg und Gewalt spielen in ihrem Werk ebenso eine Rolle wie Ungerechtigkeiten im Verhältnis der Geschlechter. Zehn Jahre nach Speros Tod widmet ihr das Museum Folkwang eine große Überblicksausstellung mit 75 Werken; darunter Arbeiten auf Papier, Gemälde sowie eine raumgreifende Installation.“
(Pressetext des Museums)
„Als Nancy Spero nach einem sechsjährigen Aufenthalt in Paris im Iahr 1964 nach Amerika zurückkehrt, sind es vor allem die in den Medien verbreiteten Bilder aus dem Vietnamkrieg, die bei ihr einen tiefen Eindruck hinterlassen. Die in den Vorjahren entstandene Serie der Lovers, größtenteils auf großen Leinwänden und in Öl gemalt, wird nun abgelöst von einer umfangreichen neuen Werkgruppe. Von 1966 bis 1971 thematisiert Spero den Vietnamkrieg in nicht weniger als 150 Arbeiten auf Papier. Diese War Series, in vielerlei Hinsicht ein Wendepunkt in Speros Oeuvre, nutzt sie als Möglichkeit zu einer eindeutigen Stellungnahme: ,,Ich fing an zu überlegen, wie ich den Krieg thematisieren wollte. Sicher war: Ich wollte das perfide Zusammenspiel von Sexualität und Macht aufzeigen, und zwar indem ich den Betrachter schockierte. [. . .] Obszön sollte es sein, denn auch der Krieg war obszön.““
(aus dem sehr lesenswerten Katalog von Anonina Krezdorn Die War Series – Ein Manifest gegen den Krieg (S. 42), Preis: € 20)
Eintrittspreise: Standard: € 8 / ermäßigt: € 5
Inwieweit es ästhetischen Objekten gelingt, das Bewusstsein seiner Betrachter so zu verändern, dass sie die Welt besser verstehen bzw. dieser neue Perspektiven abgewinnen, über diese Frage lässt sich trefflich streiten. Dass es aber Künstlerinnen und Künstler gibt, die das beabsichtigen, ist unumstritten. Und wenn diese Künstlerinnen und Künstler kritisch aktuelle gesellschaftliche Themen aufgreifen, gelangen wir in das Feld der politischen Kunst, in dem der Bezug zu Außerkünstlichem/Außerbildlichem nicht nur gewünscht, sondern notwendig ist.
Nancy Spero ist eine politische Künstlerin gewesen, die von ihrem Selbstverständnis her mit ihren Werken, z.B. zur Geschichte der weiblichen Unterdrückung, aber auch ganz konkret zum Vietnam-Krieg, Stellung genommen hat.
Aber haben ihre Werke Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch eine aktuelle Aussage oder sind sie nur in ihrem historischen Kontext von geschichtlicher Relevanz?
Zur Klärung dieser Frage soll das Bild „Male Bomb“ (Männliche Bombe) von 1966 zunächst genauer untersucht werden.
Schockierend, schmierig, blutig, aggressiv, obszön, das sind meine ersten Eindrücke von dem Bild.
Sehr schnell wird erkennbar: Im Zentrum des Bildes befindet sich ein langer, aggressiver, überdimensionierter, erregter Phallus – schwarz konturiert – mit einem merkwürdigen, zum rechten Bildrand hin gedrehten Kopf in Profilansicht mit einem punktförmigen Auge. Aus dem aufgerissenen Maul kommt ein roter Strahl. Angedeutet ist ein männlicher Torso, der breitbeinig in Frontalansicht ganz nah am unteren Bildrand steht.
In Farbschlieren verhüllt und in bestimmten Bereichen einfach nicht vorhanden ist der potentielle Kopf des Mannes; die Arme sind höchstens noch im Schulterbereich zu erahnen, ansonsten scheinen auch sie von Farbschlieren, die Flügel andeutenden, überdeckt zu werden. Aus dem unteren Bereich der Flügel tauchen feuerspeiende, wurmartige Wesen auf, die nach unten, Richtung Boden ausgerichtet sind. Diese schwarz umrandeten Objekte nehmen die Form des Phallus wieder auf, erinnern aber auch an Spermiendarstellungen, aus denen aggressive rote Flüssigkeiten oder Zungen dringen. Sie wirken durch ihre aufgerissenen Mäuler und punktförmigen Augen animalisiert, an feuer- oder blutspeiende Drachen erinnernd. Die Flügel sind mit dem männlichen Körper durch die braune Farbgebung verbunden. Die bräunlichen Farbschlieren orientieren sich im Bereich des Unterleibs an der schwarzen Konturierung des Unterleibs, während sie außerhalb des Torsos die Außenform von aufgespannten Flügeln andeuten. Besonders gut erkennbar an den braunen und rötlichen Farbschlieren sind die schnellen Gesten, mit denen die Farben aufgetragen wurden, z.T. auch nach der schwarzen Konturierung der Formen. Im oberen Bildbereich werden die Farbschlieren rötlicher und wieder dichter.
Der Oberkörper des Mannes ist ersetzt durch einen die Flügel aufspannenden Adler, dem Wappentier der USA. (Diese Assoziation wird auch durch andere Werke von Spero gestützt, in denen der Adler die Aggression der USA symbolisiert.)
Aus den Flügeln dringen aggressive Wesen. Sieht man in den Flügeln des Adlers auch die eines Flugzeugs, genauer eines Bombers, so werden die Sperma-Wesen zu feuerbringenden Bomben.
Die Beinstellung und die Überdimensionierung des Penis erinnern an Darstellungen von Satyrn, menschlich tierische Mischwesen, wodurch das Animalisch-Triebhafte der dargestellten Figur noch weiter betont wird (Spero hat bei ihrem Italienaufenthalt auch die antike Kultur kennengelernt.).
Der Bildgrund ist keine saubere Leinwand, sondern Papier, das mit seinen Riefen Spuren von Gewalt aufweist, die sich strahlenförmig vom Unterleib des Mannes über das ganze Bild ausbreiten. Damit wird auch auf der taktilen Ebene verdeutlicht, dass die männliche Sexualität untergründig alles zerfurcht, ja dominiert. Die von der Künstlerin aufgetragene Farbgebung scheint an einigen Stellen nur zu verdeutlichen, was die Spuren der Gewalt im Papieruntergrund vorgeben. Damit gibt Spero meiner Auffassung nach auch eine Selbstdeutung als Künstlerin: Sie legt offen, verdeutlicht mit den Mitteln der Malerei die Ablagerungen, die Spuren vorgegebener bzw. im Malakt entstandener Gewalteinwirkungen.
Der Bezug des Bildes zum Vietnam-Krieg ist offensichtlich. Spero sieht den Bombeneinsatz der USA gegen die vietnamesische Bevölkerung im Zusammenhang mit männlichem Potenzgehabe, das zu einer machtpolitischen, vernunftlosen und unmenschlichen Hybris der USA führt, wobei die blutigen Spuren (erfolglos) verwischt werden sollen. Ob sich bei dieser Anklage gegen eine von Männern zu verantwortende Kriegspolitik nicht auch eine Spur Mitleid andeutet, da die Darstellung in ihrer Komposition an eine Kreuzdarstellung erinnert, ist schwer zu sagen, zumal die Fokussierung auf die Geschlechtsteile, die Darstellung des Körpers als Torso, die im Gegensatz zur klassischen Porträtkunst beiläufige Maltechnik ein Männerbild evoziert, das bei aller politischen Anklage und Obszönität auch die Erbärmlichkeit des so Dargestellten offenbart. |
Unbestreitbar ist der im Bild dargestellte Zusammenhang zwischen: chauvinistischem Potenzverhalten – Großmachtanspruch – Kriegsführung – Bombenterror. |
Meines Erachtens ist die Aktualität dieses Zusammenhanges, z. B. angesichts des momentanen Präsidenten der USA, auf den ersten Blick offensichtlich. Die Aktualitätsfrage öffnet hier ein weites Feld politischer, soziologischer, psychologischer, historischer und natürlich ästhetischer Aspekte … |