von Lothar Adam
Anmerkungen zur zentralen Installation von Katharina Grosse - anlässlich der Pressekonferenz
A) Erste Eindrücke von der Ausstellung (vor der Pressekonferenz)
Als ich mich über einen Neben- dem Hauptraum der Ausstellung von der linken Seite her nähere, ordne ich das Bild im Hintergrund schnell als „Graubner“ ein: ein „Farbraumkörper“ im gewohnten Auftreten. Aber was hängt denn im Vordergrund und erstreckt sich lang von der Decke über die gesamte Hinterwand von zwei Räumen? Sieht das Objekt nicht wie eine Theaterkulisse aus? Zu einer Theaterkulisse passt allerdings nicht, dass sich der Stoff auch auf den Boden ergießt – und dann nicht einmal ordentlich, sondern mit Falten, als ob einer die Bettdecke nur halb aufgeschlagen hätte.
Ich biege in den rechts liegenden Nebenraum ein und kann nun die linke Hälfte des Bildes / der Installation ganz sehen:
Auf der rechten Seitenwand befindet sich ein weiterer Farbraumkörper von Graubner, dessen Farbgebung mit der des großen Bildes von Katharina Grosse korrespondiert.
Ja, aber was sehe ich eigentlich?
Erst mal überwiegt ein chaotischer Gesamteindruck. Ich beginn sofort zu ordnen: dynamisch und bunt Gesprühtes gegen Weißes, das mit Schablonen erzeugt wurde; organische Großformen, in denen schreiende Farben mit Farbverläufen aufgesprüht wurden contra Andeutungen von geometrischen Abgrenzungen, die an Fenster, Türen und Tore erinnern.
Schablonen – merkwürdige Objekte: Man sieht sie nicht – und sieht sie doch.
Franz Marc ist Sprayer geworden!
Die fast weißen Schablonenabdrücke bekommen auf einmal figurative Assoziationen:
Leda mit dem Schwan. Ich sehe auf einmal nicht nur weiße Schwanenhälse und –körper, sondern auch farbige Flügel! Überall fliegt Zeus und befruchtet das Bild. Jetzt aber erst mal Schluss mit den Phantasien, ich habe das Bild ja erst zur Hälfte gesehen.
Im Hauptraum des Museums überblickt man die rechte Hälfte der Installation.
Der schon von Weitem gesehene Graubner eskortiert die große Installation von Grosse – diesmal aber farblich eher kontrastierend. Die figurativen Assoziationen zu den Schablonen gehen jetzt in Richtung: nach links schauende Profile/Scherenschnitte. Wieder scheinen drei weiße Linien eine Tür anzudeuten. Auch könnte links neben der „Tür“ eine Farbpalette angedeutet sein. Selbst ein Flügel könnte sich innerhalb der „Tür“ befinden. Aber wieder stoßen alle figurativen Phantasien auf den Widerstand des Bildes, auf dem die Formen und Farben sich eher im freien Spiel begegnen, überlagern, abdecken und vermischen.
Bevor ich mich für den offiziellen Teil der Pressekonferenz hinsetze, kann ich nicht der Versuchung widerstehen, hinter der Installation einmal herzugehen.
Erst später fällt mir auf, dass das Gesehene eigentlich nicht zu erwarten gewesen war. Man kann doch normalerweise nicht auf der Rückseite eines Bildes das Gemalte erkennen. Somit hat der Maluntergrund bei Grosser weitgehend die Eigenschaft eines lichtdurchlässigen Betttuchs und nicht die einer Leinwand. Beim Gang hinter die Installation hatte ich den Eindruck, einen versteckten Bühnenraum zu betreten. Was zur Konsequenz hätte, dass alle Teilnehmer der Pressekonferenz gleich auf einer Bühne sitzen und damit Teil einer Inszenierung werden – nettes Gedankenspiel!
Auf der Pressekonferenz, auf der der Museumsleiter Walter Smerling und die Kuratorin der Ausstellung, Eva Schmidt, anwesend sind, erläutert Katharina Grosse (ganz links) ihre Malerei.
B) Zum Hintergrund des Werkes von Katharina Grosse
Hier ein Ausschnitt aus dem hervorragenden Katalog, der auch einen Überblick über das gesamte Werk von Katharina Grosse gibt (S.29).
Katharina Grosse geht es um die Überwindung von Grenzen, genauer: dem Besetzen des Grenzbereiches. Mit den Grenzen sind konkrete Objektgrenzen, aber auch die zu engen Denkbahnen im Kopf der Menschen gemeint. Ihre Installationen versteht Grosse als „Prototypen“ für dieses Beharren im Grenzbereich, den die Betrachter individuell im ästhetischen Spiel mit den ausgestellten Objekten konkretisieren muss.
Die große Installation in der Küppersmühle ist einerseits ein Bild, andererseits ein Vorhang, ein Bühnenhintergrund, eine Wand, aber auch das Protokoll einer spontanen Malaktion mit dem kalkulierten Einsatz von Schablonen.
Die Größe und Hängung dieser Installation verhindert, dass der Betrachter sie ganz mit einem Blick erfassen kann. Er muss sie gehend erschließen und wird damit Bestandteil des Werkes. Mit jedem Schritt verändert sich die Sicht . Eine abschließende Deutung wird hinausgeschoben, immer wieder revidiert, letztendlich verhindert. Jeder Betrachter sieht das Werk anders. Und kommt man nach dem Rundgang durch die Ausstellung zurück, sieht man die Installation wieder neu. Sie wirkt wie eine Bündelung und Synthese der anderen z. T. sehr großformatigen Werke. Diese Tucharbeit überwindet am deutlichsten die Grenzen des traditionellen Ölbildes, indem sie z.B. auch den Fußboden mit einbezieht.
Der Betrachter möchte Ordnungen schaffen, gewohnte Grenzen wiedererkennen. Er meint ikonografische Bezüge wahrzunehmen und freut sich über das Entdecken von geometrischen Figuren. Aber diesem auf Fassbares hinzielenden Bilddeuten wird in der Installation durch die Ausdruckskraft und Auftragsart der Farbe widersprochen. Nicht nur dass der sich in ihr widerspiegelnde Malprozess aller Regelhaftigkeit abholt ist, nein, der Kraft der Farbe selbst haftet etwas Unkontrollierbares, Nicht-Messbares an. Sie durchbricht, überwindet alle Objektgrenzen, die aber weiterhin sichtbar bleiben. Es kommt zu paradoxen Wahrnehmungserlebnissen, die in ihrer auflösenden Tendenz modellhaft für ein Denken sein könnten, das traditionelle Denkbahnen durchbricht und sich für neue Kombinationsmöglichkeiten und Übergänge öffnet.
Ein sehr frühes Beispiel für die Arbeit von Katharina Grosse ist die Installation „Bett“ von 2004: Unabhängig davon, ob es sich um Bett, Teppich, Wand oder Decke handelt, Grosse legt eine gesprühte farbige „Folie“ über eine Ecke ihres Schlafzimmers. Zwei Welten – wenn man so will – begegnen/überlagern sich: die gewohnte Welt der Alltagsgegenstände und die Farbwelt, die aus der abstrakten Malerei ausgewandert zu sein scheint. Wichtig ist, dass die Malerei nicht einfach an die Stelle von etwas Anderem tritt, sondern dass das Bezugs- und Ausgangsobjekt erkennbar bleibt und damit von dem Betrachter verlangt, zwei Daseinsbereichen zu integrieren, die normalerweise getrennt voneinander gesehen werden, was paradox ist.
C) Schlussbegegnung
Nach dem offiziellen Teil der Pressekonferenz habe ich im Rahmen der Besichtigung der Ausstellung noch die Möglichkeit gehabt, mit Katharina Grosse zu sprechen. Deutlich wurde dabei ihr gesellschafts- und erkenntniskritischer Ansatz: Malerei ist nicht an Ausstellungsflächen in einem Museum gebunden, sondern sie kann überall auftauchen und neue ungewohnte Wahrnehmungszusammenhänge provozieren mit dem Ziel, ein Denken in Bewegung zu setzen, das unterschiedlichste Lebenswelten neu zusammendenkt.
Insgesamt zeigt die Ausstellung in herausragender Weise, dass es der Malerei auch durch die Nutzung farbspezifischer Eigenschaften gelingen kann, neue Wahrnehmungs- und Denkwege zu öffnen. Die Farbmagierin Katharina Grosse hat ihren eigenen Weg gefunden, der einer Richtung folgt, in die schon ihr Lehrer Gotthard Graubner gegangen ist.