Ein Kessel Buntes - mit drei herausragenden Bilder von Ulrich Erben

Lothar Adam

Installationsansicht „Einblicke“, MKM 2021 Katharina Grosse, o.T., 2017 (m.) Siegfried Anzinger, Flucht, 2018 (l.) Günther Uecker, Geschriebene Bilder, 2014 (r.) © VG Bild-Kunst, Bonn 2021 Foto: Henning Krause, Köln

11.Juni bis 22. August 2021
MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg

Unter dem Titel „Einblicke“ zeigt das MKM Museum Küppersmühle ab dem 11. Juni rund 90 Werke von Künstlerinnen und Künstlern aus der Sammlung der National-Bank. Zu sehen sind Arbeiten von Siegfried Anzinger, Stephan Balkenhol, Joseph Beuys, Peter Bömmels, Abraham David Christian, Tony Cragg, David Czupryn, Richard Deacon, Peter Doig, Ulrich Erben, Pia Fries, Katharina Grosse, Jörg Immendorff, Konrad Klapheck, Imi Knoebel, Paco Knöller, Bernd Koberling, Dieter Krieg, Markus Lüpertz, A.R. Penck, Klaus Rinke, Leunora Salihu, Katharina Sieverding, Norbert Tadeusz, Günther Uecker, Tatjana Valsang, Cornelius Völker und Franz Erhard Walther.

Über Jahrzehnte hat die National-Bank eine hochwertige Sammlung aufgebaut, die das MKM mit ausgewählten Positionen präsentiert – anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Bank in diesem Jahr. Der besondere Fokus der Sammlung liegt auf der Region, auf Künstlerinnen und Künstlern aus Nordrhein-Westfalen und dem Umfeld der Düsseldorfer Kunstakademie, die zum Teil Weltruhm erlangt haben. 

Natürlich hat es mich gefreut, Bekannte, die alle etwas mit der Düsseldorfer Kunstakademie zu tun haben, wiederzutreffen: Beuys mit zarten frühen Multiples bzw. Auflagendrucken, Frau Grosse mit einer überwältigenden gesprayten Farbcollage, Uecker diesmal auch mit farbigen Lithografien, die an Schriftzeichen erinnern;  Tony Cragg mit einem großartigen roten Marterpfahl voller Silhouetten, Lüpertz mit seinen Uranos-Studien vor Immendorffs „Café Deutschland Erbe“, Klaus Rinke, Kathrin Sievering und Stefan Balkenhol mit Kopfmotiven. Nichts ist wirklich neu, provokant (z. B. keine Videokunst) oder mittelmäßig, es handelt sich um die vom Museumsdirektor Walter Smerling ausgewählten und kuratierten Highlights der Sammlung der National-Bank. Die gesammelten Werke – dort an verschiedenen Arbeitsstätten ausgestellt – dürfen das tägliche Geschäft nicht stören und müssen auch dem Kriterium einer Wertanlange genügen. Daran ist nichts auszusetzen, das erklärt aber den „gefälligen“ Gesamteindruck der Ausstellung. Eine Entdeckung ist für mich allerdings der mir vorher unbekannte David Czupryn, der mit großen, surrealistisch anmutenden Gemälden vertreten ist.

David Czupryn Alternative Lifeforms, 2018 Öl auf Leinwand 280 × 480 cm © David Czupryn Foto: Dejan Sarić

Eine Reise nach Duisburg lohnt sich aber auf jeden Fall, denn an einer Wand werden drei große Gemälde von Ulrich Erben mit dem poetischen Titel:

„Farben der Erinnerung (Exterieur I, II und III)“ 

ausgestellt.

Ulrich Erben „Farben der Erinnerung / Exterieur I, II und III, 1989 Acryl auf Leinwand: jedes 195 x 145 cm (eigenes Foto)

War vor zwei Jahren im Bottroper Quadrat in einer großen Ausstellung das Spätwerk von Erben zu sehen (s. dazu unsere Kommentierung der Ausstellung), in dem gedeckte und reduzierte  Farben dominierten, sind in dem Museum Küppersmühle nun drei große frühere Gemälde nebeneinander gehängt, deren farbliche Intensität der Acrylfarben noch durch die Beimischung von reinem Pigment verstärkt wird.

Allein der Titel der Bilder „Farben der Erinnerung Exterieur (I, II, II)“ verrät, dass es Erben nicht um reine abstrakte Farbfeldmalerei geht, sondern dass Bezüge zur Außenwelt / zu den eigenen Erinnerungen mit den Bildern verwoben sind.

Dabei geht es ihm nicht um die Wiedergabe einer konkreten Landschaft oder Situation, sondern eher um Grunderfahrungen von Landschaften überhaupt: Erde, Vegetation, Architektur, Meer, Luft und Licht treten in bestimmten Verhältnissen einander gegenüber.

Ulrich Erben, 1940 in Düsseldorf geboren, wächst in Rom auf und wird später dort Akademiestudent. Diese Erfahrungen sowie die Faszination für v.a. südliche mediterrane Landschaften und antike Architektur prägen seine Sprache der Malerei, genauer: seine Sprache der Farbe. Es treten bei Erben immer mehrere Farben in Kommunikation miteinander. Ihre gegenseitige Nachbarschaft beeinflusst ihren Ausdruckswert, die Kommunikation zwischen den Farben. Noch zugespitzter: allein durch die Farben bekommt das Bild eine Form, einen Raum und sein Licht.

Die Größe der drei Bilder von Erben legt es nahe, sie einzeln zu betrachten, Hängung und formale Übereinstimmungen fordern aber auch das simultane Sehen, wobei auch eine Betrachtung von links  nach rechts entlang der Leserichtung möglich erscheint. In der Ausstellung ist aufgrund der Räumlichkeit diese wichtige simultane Wahrnehmung gerade noch möglich.

Wie schon angedeutet verbietet der Titel der Bilder „Farben der Erinnerung“ einerseits eine direkte Verbindung mit einer konkreten Landschaft, andererseits verweist er darauf, dass in den Farben auch immer Erlebtes des Malers eingewoben ist. Damit ist der Betrachter eingeladen, seinen vom Spiel der Farben des Bildes ausgelösten Assoziationen / Erinnerungen nachzuspüren.

Doch am Anfang der Kommunikation mit den Bildern muss die genaue Wahrnehmung stehen: Welche Raumgefüge entstehen durch die die inneren Quadrate umrandenden Rechtecke? Wie beeinflussen die Farben sich gegenseitig? Haben im linken Bild inneres und äußeres Blau denselben Farbton? Wie viele Orangetöne wurden verwendet? Erinnert das Rot des mittleren Bildes nicht an das von Pompeji? Wann und wo ergaben sich in der Vergangenheit vergleichbare Farbkombinationen? Entstehen nicht auch Wärme- und Kälteeindrücke beim Betrachten? Wie ist die Gewichtung der Bilder untereinander: ein ruhiges Zentrum mit zwei Satelliten oder eine gleichgewichtige Dreierkonstellation? Kann man die Bilder von links nach rechts „lesen“ – vielleicht als zeitliche Abfolge? Lässt sich der Harmonie-Begriff auf die einzelnen Bilder wie auf das Triptychon anwenden?

In unmittelbarer Nähe zu den Gemälden von Erben  – im Eingangsbereich – ist das Bild „o. T.“ von Katharina Grosse aus dem Jahre 2018 zu sehen, so dass dem Besucher ein Vergleich beider Werke, für die die Farbe im Zentrum der jeweiligen künstlerischen Auseinandersetzung steht, möglich ist.

Katharina Grosse o.T., 2017 Acryl auf Leinwand 265 × 175 cm © Katharina Grosse und VG Bild-Kunst, Bonn 2021 Foto: Mick Vincenz

Erbens Bilder gebieten eine ruhige Rezeption, das Ausatmen beim Betrachten, die Selbstbeobachtung beim Wahrnehmen, während das Bild von Grosse einen anspringt, man hält die Luft an, um der Überwältigung Stand zu halten. Grosses Bild scheint ausschnitthaft, aus dem eigenen Format auszubrechen, während die Gemälde von Erben Dauer ausstrahlen, den Betrachter eher zum Verweilen, Meditieren anhalten, um dem Gespräch der Farben untereinander zu lauschen. Bei Grosse und bei Erben lässt sich der Schaffensprozess z. T. nachvollziehen: Grosse arbeitet mit Sprühpistole und Schablonen, wobei Gestisches offensichtlich mit Zufälligem kombiniert wird, bei Erben ist neben handwerklichen Pinselspuren auch eine Schichtung von Farben erkennbar. Insgesamt vermittelt Grosses Bild einen kälteren und technischeren Eindruck.

Erbens Bilder sind somit offene Angebote an Erinnerungen und Vorstellungen der Betrachter. Allerdings sind sie auch deren Filter und Transformatoren,
da die Farben und das mit ihnen evozierte Licht ein mediterranes Lebensgefühl vermitteln,
da das Farbspiel mit den starken Kontrasten und zarten Variationen sowie dem zarten Vor- und Zurückweichen der einzelnen Flächen einen harmonischen Gesamteindruck erzeugt und
da von der Strenge der sich wiederholenden geometrischen Formen eine beruhigende Geschlossenheit ausgeht, die durch einen handwerklich sorgfältigen Farbauftrag verstärkt wird.

Nach einer gelungen Bild-Betrachter-Kommunikation schreitet der geneigte Ausstellungsbesucher vielleicht mit einem Lächeln weiter und wird von der großartigen „Large Standing Figure“ von Tony Cragg in die anderen Ausstellungsräume geleitet.

Installationsansicht „Einblicke“, MKM 2021 Tony Cragg, First Person., 2014 (l.) Tony Cragg, Large Standing Figure, 2008 (l.) Ulrich Erben, Farben der Erinnerung II, 1989 Tony Cragg: © Tony Cragg und VG Bild-Kunst, Bonn 2021 Ulrich Erben: © Ulrich Erben Foto: Henning Krause, Köln

Schreibe einen Kommentar