SUSANNA - BILDER EINER FRAU VOM MITTELALTER BIS METOO

Lothar Adam

Eher selten stößt man in den letzten Jahren auf eine Ausstellung, die den Vergleich der künstlerischen Umsetzung eines Themas bzw. einer Textvorlage in den verschiedenen Kunstepochen ermöglicht.

Weitgehend bekannt ist die dem „Susanna-Motiv“ zugrunde liegende Geschichte aus dem Alten Testament (Buch Daniel):
Es geht um die sexuelle Nötigung der Susanna durch die zwei Ältesten (Richter).
Ein reicher Mann namens Jojakim lebt zusammen mit seiner „schönen“ und „frommen“ Frau Susanna in Babylon. In seinem Haus verkehren auch zwei alte Richter, deren Wunsch, Susanna körperlich zu besitzen, immer stärker wird. Sie lauern ihr eines Mittags beim Baden auf. Als Susanna ihre Dienerinnen fortgeschickt hat, treten sie aus ihrem Versteck hervor: „Wir sind voll Begierde nach dir: Sei uns zu Willen und gib dich uns hin! Weigerst du dich, dann bezeugen wir gegen dich, dass ein junger Mann bei dir war.“ Susanna verweigert sich trotz dieser Drohung und schreit laut um Hilfe, wodurch sie einer Vergewaltigung entgeht. Wie angedroht wird sie am folgenden Tag angeklagt und wegen angeblichen Ehebruchs zum Tode verurteilt. Doch der junge Daniel kann die Frau vor dem Todesurteil retten, indem er die Ältesten getrennt voneinander als Zeugen befragt. Die beiden verwickeln sich in Widersprüche, sodass die Unschuld von Susanna bewiesen ist. Die Ältesten werden verurteilt und hingerichtet.

Aus dieser Geschichte wird v.a. eine Szene, der dramatische Höhepunkt, immer wieder gemalt: Die Annäherung und Ansprache Susannas durch die Ältesten kurz vor oder nach dem Baden. Eine künstlerische Schwierigkeit ergibt sich dabei: Wie kann die verbale Drohung der beiden Männer und die Reaktion von Susanna im Bild veranschaulicht werden? Viele Maler*innen entschließen sich dazu, die Zudringlichkeit der Männer als aggressives körperliches Bedrängen zu verdeutlichen und die Reaktion Susannas durch mehr oder weniger deutliches Zurückweichen, Erstarren, Zurückstoßen und oder dem zum Schreien geöffneten Mund auszudrücken.
Diese dramatische Szene steht im Mittelpunkt eines Verdachts, was die vielleicht oben schon angesprochene Zurückhaltung von Ausstellungsmacher:innen bezüglich des „Susanna-Motivs“ erklärt. Ich vereinfache jetzt grob: V.a. aus feministischer Perspektive wird den Susanna-Darstellungen vorgeworfen, ein ursprünglich moralisch angelegtes Narrativ habe sich zu einem moralfreien, frivolen Voyeurismus entwickelt. (Ein Vorwurf, der z. B. auch gegenüber Eva-, Maria-Magdalena- und Venus-Darstellungen erhoben werden könnte).

Die Ausstellungsmacher:innen wollen zeigen, dass dieser Vorwurf zu pauschal ist, denn in zahlreichen teils bekannten, teils unbekannten Exponaten vom Spätmittelalter über Renaissance, Barock, Rokoko und 19. Jh. bis in die Moderne und die Gegenwart ist ihrer Ansicht nach erkennbar, dass sie dem Bildpublikum Einfühlung in Susanna und die Verurteilung der Ältesten nahelegen.

Meine Untersuchung von vier Gemälden folgt dieser These der Ausstellungsmacher:innen, indem sie zeigt, dass es einerseits in den ersten beiden Beispielen, die Susanna schutz- bzw. hilflos zeigen, Hinweise darauf gibt, dass der Vorwurf der Sexualisierung des Themas berechtigt ist. Dass es aber andererseits auch Darstellungen gibt, die eine starke, sich wehrende bzw. eine selbstbewusste und Autorität ausstrahlende Susanna zeigen, auf die der Vorwurf der „Erotisierung“ nicht zutrifft.

Jean-Jacques Henner, La Chaste Suzanne (Die keusche Susanna)

Jean-Jacques Henner, La Chaste Suzanne (Die keusche Susanna), 1864, Öl auf Leinwand, 185 x 130 cm, Musée d’Orsay, Paris Foto: bpk / RMN – Grand Palais / Hervé Lewandowski

Die erste Susanna-Darstellung von Jean-Jacques Henner zeigt eine nackte Frau, die vor oder nach einem Bad zu sehen ist. Es hat den Anschein, dass Susanna für einen Moment in ihrer Bewegung inne hält. Vielleicht hat sie etwas gehört. Vielleicht sieht sie im Spiegelbild des Wassers den Männerkopf, der – an einen Satyr erinnernd – sie aus einem Versteck hinter Bäumen beobachtet. Oder ist es vielleicht sogar der Betrachter des Gemäldes, den Susanna gerade bemerkt hat?

Der Bezug zur Textquelle ist bei diesem Bild äußerst dünn. Zwar ist die Belästigung bzw. Bedrohung der Frau, aber nicht das für den weiteren Verlauf der Handlung entscheidende verbrecherische Ultimatum erkennbar. Auch kann erstaunen, dass Susanna nicht erschrocken ob des Wahrgenommenen reagiert. Gut, die abgeschnittenen und runtergefallenen Blumen auf der linken Bildseite können als Anspielung auf die sexuellen „Pflückabsichten“ der Alten gedeutet werden, aber ich habe den Verdacht, dass es dem Maler gar nicht um die Visualisierung eines biblischen Geschehens geht, sondern dass er etwas ganz anderes im Sinne hat. Denn auffällig ist, dass er den Betrachter des Bildes im Vergleich zu dem im Hintergrund Lauernden in eine voyeuristischere Position rückt. Aufgrund der Betrachterperspektive kann er Susannas rechten Busen und ihr Gesäß deutlicher als der im Bild sich befindende Spanner sehen.
Jean-Jacques Henner möchte laut Titel eine keusche Susanna zeigen. Allein der fehlende Blickkontakt zum Betrachter kann mit dem Titel in Verbindung gebracht werden. Zuwenig, um die erotisierende Absicht des Bildes zu verschleiern.

Francesco Hayez, Susanna im Bade

Francesco Hayez, Susanna im Bade, 1850, Öl auf Leinwand, 138 x 122 cm, National Gallery, Leihgabe aus Privatbesitz, London

Eine Sonderstellung in der Ausstellung nimmt aufgrund der fehlenden Männer das Bild von Francesco Hayez, Susanna im Bade ein (vielleicht versteckt sich oben rechts zwischen den Bäumen eine männliche Gestalt). Die Betrachtenden sind sozusagen mit ihr alleine und fast zum Greifen nahe an sie herangerückt.

Noch radikaler als bei Henner wird in diesem Bild auf fast jeden Bezug zum Bibelstoff verzichtet. Susanna sieht die Betrachter des Gemäldes mit großen, dunklen Augen an.  Aber wieso ist sie nicht über das Wahrgenommene erschrocken? Leger das linke Bein über das rechte geschlagen und dem Betrachter entgegengestreckt, mit dem preziös gehaltenen Tuch nur die Vorderseite ihres Oberkörpers und die Scham bedeckend, zeigt sie ihren nackten Rücken und Ansätze ihres Gesäßes sowie des rechten Busens. Sie nimmt damit die typische Pose von Aktmodellen in einem Zeichenkurs ein. Besonders auffällig bei dieser Inszenierung ist der Ort des Geschehens. Aus dem sonnenbeschienenen mittäglichen Garten der Textgrundlage ist ein dunkler, kühler Innenhof geworden, der Assoziationen an kerkerhafte Verliese aufkommen lässt. Vor den steinernen Mauern des Hintergrundes und einem in Nebel gehüllten Wald hebt sich die helle Haut der jungen Frau deutlich ab. Susanna wirkt an diesem Ort einerseits selbstbewusst, andererseits nimmt sie eine Pose ein, die Schutzbedürftigkeit ausdrücken soll, so dass neben der „erotisierenden“ Präsentation des Aktes v.a. im Zusammenhang mit der Gestik und den großen Augen die männliche Rolle eines Beschützers bzw. Retters angesprochen wird.

Auf der anderen Seite kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass das Bild den Betrachter ganz bewusst in die Rolle der fehlenden Ältesten rückt.
Susannas gedrehter Kopf und ihr Blick signalisieren, wie schon oben angedeutet, dass sie die Annäherung einer Person bemerkt hat. Wer auch immer dies ist, die Person nimmt eine Position ein, die dem Standort des äußeren Bildbetrachters entspricht. Da davon auszugehen ist, dass dieser  den Titel des Gemäldes und die Geschichte um Susanna  kennt, könnte das Bild zu einem Bewusstwerden des eigenen voyeurhaften Verhaltens beitragen, falls der Betrachter in Erwägung zieht, dass auch die Ältesten seinen Standort hätten einnehmen können.

Fassen wir zusammen: Dieses Bild kann in ganz unterschiedliche Richtungen gedeutet werden. Scheint es auf der ersten Ebene eine verführerische Sinnlichkeit auszustrahlen und einem Männerbild zu schmeicheln, das in Kontexten von Sagen und Märchen, in denen Jungfrauen aus Verliesen befreit werden müssen, heldenhaft erscheint, so drängt es auf einer zweiten die Betrachtenden in die Rolle der Ältesten, als Angebot an ihr/sein Reflexionsvermögen. Offen muss bleiben, welche Bildebene die Betrachtende wahrnehmen.

Anthonis van Dyck, Susanna und die beiden Alten

Anthonis van Dyck, Susanna und die beiden Alten, um 1622/23, 194 x 144 cm, Leinwand, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek, München

Welch ein Unterschied zu den Bildern zuvor!

Drohende und betastende Männer bedrängen Susanna mit Gesten und Blicken. Sie sitzt eingekesselt zwischen den Ältesten, die sie aus übermächtiger Standposition von links mit Gesten und Blicken bedrängen, einem hohen Baum und einem Brunnen. Das drohende Unheil spiegelt sich auch in der dunklen Wolkenformation wider. Furchtsam duckt sich Susanna vor den beiden Männern nach links weg. Ihre gekreuzten Beine, ihr wegdrückender rechter Arm, das Bedecken ihrer Brüste und der wütende Blick signalisieren eindeutig, dass sie trotz ihres panischen Schreckens alles daran setzen wird, um der Bedrohung Widerstand entgegen zu setzen.

Der ältere Mann dreht mit dem linken Arm einen Putto so, dass das Füllhorn sich über Susanna ergießen wird, was eine peinliche sexuelle  Anspielung ist. Nahe dem Zentrum des Bildes sind die spinnenförmigen Finger des Alten, der versucht Susanna zu betatschen. Das erzeugt bei mir Ekel und Mitgefühl mit Susanna. Der Jüngere droht ihr mit erhobenem Finger die Konsequenzen an, sollte sie sich verweigern. Dabei versucht er, ihr das Tuch vom Leib zu ziehen.

Aufgrund der reflexhaften Rückzugsbewegung von Susanna, die auch in ihren Haaren erkennbar ist, kippt am Boden die muschelförmige Schale um und der enthaltene Schmuck fällt heraus.
Der die Diagonale betonende rechte Arm von Susanna bildet das Zentrum des Bildes. Er gibt die Blickrichtung vor, unter der diese Inszenierung zu lesen ist. Der Arm steht für den aktiven Widerstand, den die entschlossene Susanna dem Vergewaltigungsversuch eine Grenze setzt.
Damit zeigt das Bild den entscheidenden Moment der biblischen Geschichte. Zur Erinnerung: Auch in der Bibel gelingt den übergriffigen Männern nicht die Vergewaltigung, sondern durch ihr Schreien vermag Susanna sich aus ihrer akuten Zwangslage zu befreien.

Möglicherweise wird es Betrachtende geben, die selbst dieser Darstellung einen sexuellen Reiz abgewinnen, doch das Bild tut alles, um genau das zu verhindern, so vergrößerte van Dyck im Verlauf des Malens, wie Untermalungen zeigen, die Haarmenge und die Draperie, um die Blöße von Susanna zu verringern.

Guido Reni , Susanna und die Alten

Guido Reni, Susanna und die Alten (um 1620–25);Öl auf Leinwand, 158 x; 161 cm; Foto: Lothar Adam

Zum Schluss ein Bild, das neben dem gewohnten Arrangement von zwei Männern, die eine unbekleidete Frau sexuell bedrängen, zwei Besonderheiten aufweist:
Zum einen: Obwohl der eine Mann am Umhang von Susanna zieht und der andere schon seine Hand auf Susannas Schulter legt, sehen die beiden nicht wie zwei Bösewichte aus, sondern eher wie zwei ältere Männer, denen der Zweifel ob ihres Anliegens auf die von Falten zerfurchte Stirn geschrieben steht. Handeln und Gesichtsausdruck widersprechen sich.

Und zum anderen: Susanna vermag es mit ihrem misstrauisch-kalten Blick und mit der Bewegung ihrer rechten Hand die Männer zu stoppen!

Detail, Guido Reni, Susann und die Alten, Foto: Lothar Adam

Die Gestik dieser sehr selbstbewussten Susanna ist eine Anspielung auf die Darstellungen der Szene, als Maria Magdalena versucht, Jesus zu berühren, und Jesus dieses Ansinnen mit einer Handbewegung verhindert. Übertragen auf Renis Susanna-Bild ließe sich folgern, dass es auch Susanna gelingen wird, die Zudringlichkeit der Ältesten abzuwehren. Durch Susannas Noli-me-tangere-Gestik kann der Grund für ihr selbstbewusstes Auftreten in ihrem christlichen Glauben gesehen werden.

Fra Angelico; Noli me tangere (Berühre mich nicht); Fresko in einer Zelle des Klosters von San Marco (Florenz) um 1440

Aus Renis Inszenierung ließe sich somit die Intention ableiten, ein Beispiel für die Wirkmacht des Glaubens zu geben.
Dass der Maler die erotischen Komponenten seiner Inszenierung minimieren möchte, zeigt die Verhüllung von Susannas Haar durch einen Turban, da von dessen Zurschaustellung eine sexuelle Anspielung ausgehen könnte.
Fassen wir zusammen: Mit einer vermeintlich unscheinbaren Geste vermag Susanna die Vergewaltiger zu stoppen. Diese Geste kann als Ausdruck starker Religiosität gedeutet werden.

Für mich ist dieses Bild das hoffnungsvollste in der Ausstellung. Der zentrale Konflikt, der Vergewaltigungsversuch, wird nicht verschleiert, er wird in der übergriffigen Gestik  der Männer deutlich. Andererseits trifft das Nein der Frau, wieder verdeutlicht über die Gestik, auf die offensichtlich in ihrem Vorhaben noch zu stoppenden Männer. In meiner subjektiven Deutung des Bildes ist nicht nur die Religiosität der beteiligten Personen für diese Konfliktlösung verantwortlich, sondern auch die rationale Einsicht in das eigene Fehlverhalten der Männer– was sich in deren Darstellung zeigt. Vielleicht deutet dieses Bild damit Konfliktlösungsstrategien jenseits von gerichtlichen Auseinandersetzungen an, die auf dem Respekt gegenüber Frauen beruhen.

Anmerkung:
Dieses In-Beziehung-Setzen von Susanna mit Jesus hat in der Geschichte der Susanna-Darstellungen eine lange Tradition. Schon im 2. Jahrhundert nach Christus sieht Hippolyt, der die älteste exegetischen Kommentare zum Buch Daniel verfasst hat, in der Susanna-Geschichte eine Allegorie auf die von äußeren und inneren Feinden bedrohte Kirche. Susanna steht für die bedrohte Kirche. In diesem Zusammenhang muss noch auf eine Deutung des Susanna-Stoffes hingewiesen werden, die in späteren Jahrhunderten fatalerweise dazu führt, einen der beiden Ältesten mit dem Judentum zu identifizieren, was bis ins 20.Jh. antijüdischer und antisemitischer Susanna-Darstellung den Weg bereitet.

In dem ganz ausgezeichneten Katalog, der den Stand der Susanna-Forschung widerspiegelt, kommt die Herausgeberin und Kuratorin Anja K. Sevcik, zu folgendem Resümee:
„In Verbindung mit der inhaltlichen Vielschichtigkeit und den unterschiedlichsten Deutungsmöglichkeiten konnte „Susanna“ zu einem Bestseller-Sujet avancieren, das jedoch keinesfalls auf „sex sells“ zu reduzieren ist. Ambivalent sind und bleiben die Bewertungen …. Doch ist die Susanna-Geschichte nicht letztlich auch eine wunderbare gesellschaftliche Utopie? Eine Frau und ein Knabe, der junge Daniel, besiegen diskriminierende Machtstrukturen!“

Im Frankfurter Städel findet noch bis zum 5.3.2023 eine große Reni-Ausstellung statt. Zu dem sehr informativen Einführungsfilm und dem Editorial kommen Sie über unsere Seite „Virtuelle Ausstellungen“.

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