Die afrikanische Spur in der Bilderwelt von Christoph M. Gais
Lothar Adam
Im hintersten Raum der Ausstellung Christoph M. Gais – Bilderwelten 1990 bis heute trifft der Besucher auf eine Gruppe von Skulpturen, die von dem Künstler gesammelt wurden und afrikanischen und asiatischen Ursprungs sind. Diese Skulpturen haben für ihn eine wichtige Funktion, was sich auch in der Rekonstruktion seiner Atelierwand im Vorraum des Museums widerspiegelt.
Die Skulpturen (ohne Herkunftsnachweis) stehen auf mit Gebrauchsspuren gezeichneten Hockern und Tischchen, was den privaten Verwendungszusammenhang verdeutlichen soll.
Doch welche Funktion hat diese Installation in der Ausstellung? Geht man in die Mitte Ausstellungsraums, bemerkt man, dass die Skulpturen in Richtung der aufgehängten Gemälde blicken, sodass der Besucher / die Besucherin den Impuls fühlen könnten, sich einzureihen. Diese Anordnung erinnert an die zur Identifikation angebotenen Rückenfiguren auf einigen Gemälden von Caspar David Friedrich
Auch wenn diese Figuren aus magischen Kultzusammenhängen stammen, zu denen der heutige Europäer in der Regel keinen direkten Zugang hat, vermag diese Installation doch einen neuen, ungewohnten Blick auf das gegenübergehängte Gemälde zu ermöglichen. Auch der Bildtitel „Tanger“ , eine marokkanische Stadt, auf die ein Tourist nach dem Überqueren der Straße von Gibaltra trifft, möchte das Bild in einen afrikanisch – arabischen Zusammenhang rücken. Nähert man sich ihm, so scheinen die Felder, die sich durch den Wechsel der Stempelrichtung der blauen Dreiecke ergeben, vor- und zurück zu wiegen, als atmeten sie. Die verschiedenen Grauwerte des Hintergrunds unterstützen diese scheinbare Eigenbewegung. Durch die Ornamentik und durch die Größe des Bildes verliert der/die Nähergetretene die Übersicht, er/sie wird Teil des Bildgeschehens, wobei das Bild die Tendenz zu haben scheint, sich auszudehnen
Sind Betrachter und Betrachterinnen geneigt, in dem Bild Ähnlichkeiten mit einem in Afrika gewebten Stoff zu sehen, so könnten bei ihnen auch Phantasien angeregt werden, in denen ein vom Wind bewegter Teppich in die Märchenwelt von Tausend und einer Nacht fliegt und sich vielleicht zwischen den Bergen des benachbarten Gemäldes niederlässt.
Thomas Huber, ein Freund und Malerkollege von Gais, hat die Ausstellung kuratiert und einen sehr lesenswerten Katalogbeitrag verfasst, in dem er auch auf das Verhältnis von Gais zu seinen Skulpturen eingeht. Huber erklärt, dass es Gais‘ Überzeugung sei, dass die afrikanischen Skulpturen von einem Künstler geschaffen worden seien. „Keine Ethnie, keine Kultur, kein Stamm hat die Skulpturen geschaffen, sondern ein einzelner Mensch mit höchstem künstlerischen Anspruch und individueller Verantwortung für jedes konkrete Werk hat sie hergestellt. Gais würdigt mit der Gegenüberstellung das gelungene Werk eines Künstlerkollegen.“
Christoph M. Gais, geboren 1951 in Stuttgart, lebt und arbeitet seit 1994 im italienischen Orvieto (nördlich von Rom). Das Museum Küppersmühle bzw. die Sammlung Ströher ist in Besitz eines umfangreichen Bestandes seines Werkes. Die Ausstellung zeigt deshalb v.a. die unbekannteren neueren Arbeiten.
Gais Anfänge sind dem Deutschen Informel zuzurechnen Für Gais neuere, meist sehr große Bilder ist eine Anordnung typisch, bei der sich über einem abstrakten Hintergrund auf einer zweiten Ebene sorgfältig gemalte Objekte befinden. Das Bild kommt dem Betrachter entgegen.
Als Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen im Zusammenhang mit der Corona-Welle, die in Italien zu besonders drastischen Maßnahmen geführt hat, lassen sich seine letzten „Masken- Bilder“ lesen. Die Atelieransicht (s. o.) zeigt, dass Gais im Besitz diverser afrikanischer Masken ist, die – wie schon Picasso bei seiner „Les Demoiselles d’Avignon“ – in die eigene Malsprache aufgenommen werden, um einer bedrohlichen Welterfahrung Ausdruck zu verleihen.
Zum Schluss sei noch auf Bilder hingewiesen, in denen eine andere, hellere, vielleicht sogar ironische Tonart anklingt: die Glasbilder. Der vermeintliche Hintergrund aus blauen Pinselstößen liegt als Glasscheibe oben auf; von einem bestimmten Standort aus, entdeckt man das eigene Spiegelbild.