Pablo Picasso | Max Beckmann: Mensch – Mythos – Welt
Lothar Adam
Zwei der ganz großen Maler des 20. Jahrhunderts laden im Wuppertaler Von der Heydt-Museum zum Vergleich ein: Pablo Picasso und Max Beckmann.
Rund 200 Werke von Pablo Picasso und Max Beckmann sind in der Ausstellung zu erleben: Gemälde und Grafiken sowie einzelne Skulpturen.
Eine persönliche Begegnung der beiden hat es wahrscheinlich nie gegeben. Es gibt von Picassos Seite – nach einem Ausstellungsbesuch – aber eine lobende Bemerkung über Beckmann, während Beckmann sein Leben lang in Picasso einen überschätzen Rivalen auf dem Kunstmarkt sah.
Die Ausstellung zeigt nicht nur Ähnlichkeiten und Parallelen im Werk der beiden Künstler, die ja immer am gegenständlichen Bild festgehalten haben, sondern auch Abweichungen und Unterschiede.
Für Besucher*innen ergeben sich zahllose, sehr reizvolle Möglichkeiten, durch das Vergleichen von Bildern deren Spezifika zu erkennen. Eine Hilfe dabei ist, dass die einzelnen Ausstellungsräume (insgesamt 10) thematische Schwerpunkte haben, wie z.B.: Raum 2 – „Gaukler, Arme, Ausgegrenzte“, Raum 3 – „Formales Experiment / Kritische Zeitgenossenschaft“ und Raum 8 – „Rätsel der Realität, Wahrheit des Mythos“.
Meiner Meinung nach gibt es ein Thema, das sich durch viele Räume zieht und somit einen übergreifenden Beobachtungsschwerpunkt bilden könnte: die Beziehungen zwischen Mann und Frau / Künstler und Modell.
Schauen wir bei zwei der Bilder einmal genauer hin!
Max Beckmann „Siesta“ von 1924 – 1931
Zunächst mag die Angabe über die Erstellung des Bildes erstaunen. Max Beckmann überarbeitet 1931 ein Gemälde, das ursprünglich seine erste Ehefrau Minna darstellt. In der Fassung von 1924 ist seine erste Frau abgebildet. Das verrät eine Grafik aus dem Jahr 1923, deren Komposition Beckmann für das ursprüngliche Gemälde genutzt hat.
In dem Gemälde von 1931 gleicht er die Züge der Liegenden seiner zweiten Frau Mathilde (Quappi) Kaulbach an, die er 1925 geheiratet hat. Für Beckmann scheint die Zweitnutzung des Gemäldes unproblematisch zu sein, da er bis zu seinem Lebensende mit Minna freundschaftlich verbunden bleibt, noch 1930 malt er (aus dem Gedächtnis) ein großes Porträt von ihr.
Nutzen wir nun die Zeichnung von 1923, um das Besondere des späteren Gemäldes zu bestimmen!
Der Vergleich mit der anfänglichen Grafik verrät, dass für das Gemälde „Siesta“ nicht nur der Kopf und der Ausblick aus dem Fenster neu gestaltet wurde, sondern das Bild insgesamt einen völlig neuen Ausdruck bekommt. Dazu tragen die Attribute bei, mit denen die Frau ausgestattet wird. Offensichtlich ruht sie sich nach dem Spielen einer Mandoline aus, während sich unterhalb ihrer Beine eine Katze eingekuschelt hat.
Das in einem ungewöhnlichen Querformat ausgeführte Gemälde strahlt deutlicher als die Zeichnung Ruhe, Weichheit, Wärme und Harmonie aus. Im Zentrum des Bildes liegt eine mit Strümpfen und Hemd bekleidete junge Frau auf einem quergestellten Bett (?). Sie hat die Augen geschlossen, die Beine angewinkelt und übereinandergeschlagen, die Arme hinter dem Kopf gekreuzt; möglicherweise ruht sie sich vom Spielen der neben ihre liegenden Mandoline aus. Ein Mann mit Zügen Beckmanns sitzt vor einem Fenster mit Blick auf das Meer, seinen Kopf hat er der Frau zugewendet, sodass wir ihn im Profil sehen. Sein unbekleideter Rücken sowie der Fensterausblick erzeugen die sommerlich mediterrane Atmosphäre eines heißen Tages. Der Bildtitel „Siesta“ betont das Entspannte, Warme und Harmonische der Szene. Die Begrenzung der Farbwahl auf warme Rot-, Violett- und Brauntöne, die durch den im dunklen Grün gehaltenen Fenstervorhang sowie durch das Weiß in der Kleidung der Frau und die Hauttöne der Personen vorsichtig kontrastiert werden, verstärken die mittägliche Sommeratmosphäre.
Auch die abstrahierenden Vereinfachungen der Umrisslinien, die der Frau einen fast puppenhaften Ausdruck verleihen, sowie die gedrängte bühnenartige Raumgestaltung, die nur bedingt perspektivischen Gesetzen gehorcht, führen zu einem in sich stimmigen, warmen Gesamteindruck.
Eine Untersuchung der Komposition zeigt eine gleiche Gewichtung der Personen.
Genau am rechten Fensterrahmen verläuft die (fiktive) Mittelsenkrechte und teilt das Bild in zwei Hälften, in denen jeweils der Mann und die Frau porträtiert werden. Die Blickrichtung des Mannes liegt parallel zur Mittelwaagerechten. Das Bild erweckt den Eindruck, dass die angewinkelten Beine den Blick unterbrechen könnten, bzw. gerade diese den Blick anziehen, obwohl unter realen Bedingungen die Beine für den jenseits des Bettes Sitzenden kein Hindernis beim Blick auf das Gesicht der Liegenden sein dürften. Damit deutet die Komposition trotz aller Ausgewogenheit eine Spannung erzeugende Mehrdeutigkeit an. Und in der Tat liegt über der Szene auch ein gewisses erotisches Fluidum. Das unter den Beinen der Frau spielende Kätzchen evoziert Erotisches auf symbolischer Ebene. Der Schoß der Frau befindet sich genau in der Bildmitte. Aber auch die teilweise entblößte Brust der Frau, die in der Blickrichtung des Mannes liegt, das Überwiegen von weichen, runden Formen sowie die Rot-Violetttöne des Hintergrundes, vor denen sich die helle Haut und die Bekleidung der Frau umso mehr abheben: Alle diese Details verleihen dem Bild eine leicht erotische Nuance, wobei das reine Weiß in der Bekleidung der Frau der Szene eine unschuldige Note hinzufügt. Im Gegensatz zu vielen Bildern von Beckmann wird hier das Mann-Frau-Thema in einer harmonischeren Variante gezeigt. Mann und Frau befinden sich auf einer (Blick-)Ebene.
Nur zum kontrastierenden Vergleich sei auf Beckmanns Bild „Luftakrobaten“ von 1928 hingewiesen.
Auch bei Picasso stoßen wir in der Ausstellung auf ein kleineres Bild, das eine friedliche Beziehungsstruktur veranschaulicht.
Pablo Picasso „Familie am Meeresufer“ von 1922
Picasso ist seit 1918 mit Olga Khokhlova verheiratet. Im Februar 1921 kommt sein erstes Kind, Paul Ruiz-Picasso, zur Welt. Zur gleichen Zeit entwickelt Picasso seine „klassizistische“ Formensprache, eine Übergangsphase zwischen Kubismus und Surrealismus.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Komposition:
Im Hintergrund des fast quadratischen Bildes findet sich eine sehr einfache waagerechte Raumgliederung – mit Himmel und Meer in gleich breiten Streifen. Entscheidend für die harmonischen Verhältnisse zwischen den drei Personen ist neben den zärtlichen Gesten und liebevollen Blicken eine Dreieckskomposition, wie sie z. B. auf Renaissance-Bildern anzutreffen ist.
Ein Beispiel:
Raphael „Alba-Madonna“ ca. 1510
In Raphaels Bild deutet das kleine Johannes-Baby dem Kleinkind Jesus durch das Kreuz sein Schicksal voraus. Mutter Maria hat allen Grund ob dieser schmerzhaften Voraussage ihren Sohn zu beruhigen, was ihr mittels der Geste ihres rechten Armes und ihres Blickes offensichtlich erfolgreich gelingt. Es entsteht die auch aus anderen Marienbildern bekannte Pryramidenanordnung der Figuren.
Picassos Bild, in dem auch eine Frau über die Szene wacht, zeigt eine gewisse Ähnlichkeit im Figurenaufbau. Statt Raphaels Pyramidenanordnung verwendet Picasso aber eher eine Dreiecksformation mit der Spitze auf der Mittelsenkrechten. Übereinstimmungen mit Raphaels Gemälde ergeben sich durch die hinwendende Geste des rechten Arms und durch die Bedeutung der von unten links nach oben rechts verlaufenden Diagonalen. Beine und Arme der Frauen in beiden Bildern zeigen Parallelen zu ihr, allerdings bei Picasso mit größeren Abweichungen. Auch auffällig sind die Kopfhaltung und der gesenkte Blick von Picassos Frau, der auf den Schoß des Mannes oder ihren Fuß gerichtet scheint.
Zusammenfassend kann man somit über das Picasso-Bild sagen: Der Künstler spielt mit kunstgeschichtlichen Bezügen, aber er übernimmt nicht einfach Stilmerkmale der Antike bzw. der Renaissance. So sind die Körper bei Picasso für klassische Skulpturen nicht richtig proportioniert. Besonders dem Mann fehlt ein athletischer Körperbau, seine Hände und Füße sind zu groß. Eine ähnliche Tendenz zur Weichheit bzw. zur Vereinfachung konnte auch schon bei der Komposition beobachtet werden. Natürlich spielen Meer, Strand und nackte Personen mit klassischen Bezügen zur Antike, aber diese werden in den individuellen Malstil von Picasso integriert. Entstanden ist ein Bild, das in der Zartheit der Gestaltung das Glück einer jungen Familien ausdrückt. In seiner Abgeschiedenheit und Isolation hat die Szene auch utopische Elemente.
Blicken wir noch einmal zurück auf die „Siesta“ von Beckmann; bei ihr liegt noch eine erotische Spannung in der Luft, etwas Sehnsüchtiges, das auf die Zukunft gerichtet ist. Bei Picasso ist der Glücksmoment schon erreicht, eine Steigerung in der Zukunft kaum vorstellbar. Und vielleicht erklärt sich daraus eine gewisse Trauer, die meines Erachtens über dieser in Pastelltönen gehaltenen Szene liegt und die ihren Ausgangspunkt vielleicht im gesenkten Blick der Frau hat, so wie der liebevolle Blick von Maria bei Raphael ja auch einen melancholischen Zug hat.
Für Beckmann war es möglich, ein Bild nach sieben Jahren wieder aufzunehmen und weiterzuentwickeln, da sein Malstil sich zwar verändert, aber nicht von so radikalen Brüchen und Veränderungen gezeichnet ist, wie sie für Picasso typisch sind.
Gerade dieser Unterschied in der Entwicklung der Künstler lässt sich in der mit herausragenden Bildern bestückten Ausstellung beobachten.
Für weitere Bildanalysen zu Picasso und Beckmann, die wir im Zusammenhang mit anderen Ausstellungen erstellt haben, klicken Sie einfach auf die Bilder!
Sehr interessant!