Mülheimer Kunstmuseum zeigt Werke der klassischen Moderne und aktuelle Positionen
Lothar Adam
Mit zwei neuen Ausstellungen startet das Mülheimer Kunstmuseum ins zweite Jahr nach der Neueröffnung: mit einer Neuinszenierung der Sammlung Karl und Maria Ziegler und der Ausstellung „WE. Der Körper als Zeichen“, in der mehr als 70 Künstlerinnen und Künstler mit über 90 Kunstwerken von den 1920er Jahren bis heute präsentiert werden.
Im Garten der Kunst / Klee, Feininger, Nolde
Als Vorbereitung auf die Mülheimer Ausstellung kann man momentan im Wuppertaler Von der Heydt-Museum entdecken, was es mit der Wildheit des Expressionisten Maurice de Vlaminck zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf sich hat. Betritt man danach die Beletage des Mülheimer Museums wird augenfällig, wie sich die Rezeption der expressionistische Kunst innerhalb von 50 Jahren radikal verändert hat. Expressionistische Kunstwerke tragen nun auch zur Verschönerung des Wohnzimmers der Eheleute Ziegler bei. Dr. Michael Kuhlemann hat als Kurator mittels Fotos und einiger Wohngegenständen versucht, die architektonische und atmosphärische Situation zu veranschaulichen, in der die Bilder ursprünglich im Haus der Zieglers hingen.

Das 1957 fertiggestellte Wohnhaus der Zieglers lag mit einem großen Garten am Mülheimer Kahlenberg in Sichtweite des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Kohlenforschung, wo Prof. Karl Ziegler gerade eine bahnbrechende Entdeckung gemacht hatte, für die er 1963 den Chemienobelpreis erhalten sollte.

Diese große Fototapete mit Blick in den Garten der Zieglers empfängt die Besuchenden der Ausstellung. In den folgenden Räumen werden die Bilder von Emil Nolde, Paul Klee und Lyonel Feininger gezeigt. (2026 folgen Bilder von August Macke, Franz Marc und Alexej von Jawlensky.)
Einige Bilder der Ausstellung:



Mein Highlight dieser kleinen Kabinettsausstellung ist die Rekonstruktion der Leinwandzerschneidung und – erweiterung bei einem Gemälde von Paul Klee:

WE. Der Körper als Zeichen


In dieser von Stefanie Kreuzer und Anja Bauer-Kersken kuratierten Gruppenausstellung wird mittels Gemälden, Skulpturen, Zeichnungen, Fotografien und Installationen der menschliche Körper – schwerpunktmäßig aus weiblicher Sicht – in Hinblick auf das Selbstverständnis ebenso wie in Beziehung zur Gesellschaft thematisiert.
Es ist nicht einfach, einzelne Kunstwerke hervorzuheben, da diese in Machart, Thematik und Intention sehr unterschiedlich sind. Darum möchte ich nur mein Lieblingsobjekt vorstellen.
Thomas Schütte, United Enemies



Ich kannte bis jetzt mit diesem Titel nur eine der überlebensgroßen Bronzeskulpturen von Thomas Schütte (s. 1. Abbildung).
Die in der Ausstellung gezeigten Modelle aus Fimo Modelliermasse, Stoff und Holz (s. 2. und 3. Abbildung) betonen v.a. mit der grotesken Bemalung der verzerrten Gesichter den ironisch, zynischen Charakter der mit (Bademäntel und Bettwäsche?) verschnürten Figuren. Fehlen wie die Arme auch die Beine? Ist der Dreifuß eine Anspielung auf Prothesen oder auf ein Stativ – mit der besonderen Eigenschaft, auf jedem Untergrund kipp-fest zu stehen? Auf jedem Fall sind die älteren männlichen Figuren aneinander gefesselt, ihre fratzenhaften Gesichter schauen in verschiedene Richtungen.
Die ersten Figuren der Reihe United Enemies entstanden während Thomas Schüttes Aufenthalt als Stipendiat in der Villa Massimo in Rom im Jahre 1992. Zu jener Zeit wurden unter dem Motto „Mani pulite“ (italienisch für „Saubere Hände“, sinngemäß „Weiße Weste“) in Italien zahllose Politiker*innen als korrupt und kriminell entlarvt, unzählige Schmiergeldaffären erschütterten das Land und führten dazu, dass die Regierung zurücktreten musste. Die Ermittlungen führten zum Ende der sogenannten Ersten Republik und dem Zusammenbruch der damals wichtigsten politischen Parteien wie der Democrazia Cristiana und des Partito Socialista Italiano.
Der Name „United Enemies“ ist abgeleitet von United Colors of Beneton, einer umstrittenen Werbekampagne des bekannten italienischen Strickwarenherstellers. So war auf einem der Plakate das Bild eines Erkrankten im Endstadium auf dem Sterbebett abgebildet. Beneton wehrte sich gegen die Kritik mit dem Hinweis auf das Ziel: ein tabuisiertes Thema in die Öffentlichkeit zu bringen.
Diese Informationen zum Entstehungshintergrund legen es nahe, in diesen Skulpturen von Thomas Schütte Seilschaften von machthungrigen Männern zu sehen, die sich (noch?) gegenseitig stützen. Sie könnten stürzen, umfallen, wäre da nicht ein Unterbau, der sich erstaunlich stabil gegen Schwankungen erweist.
Für mich haben diese Figuren durch die weltpolitischen Entwicklungen der letzten Wochen eine brisante Aktualität bekommen. Dabei geht auch ein befreiender Impuls von dem Objekt aus; denn auch wenn einem beim Anblick der Figuren das Lachen im Hals stecken bleibt, ihnen haftet etwas Infantiles, Lächerliches an.
Bringen Sie also etwas Zeit und vielleicht auch einen Gesprächspartner oder eine Gesprächspartnerin mit, um die Perlen der Sammlung Ziegler gemeinsam zu genießen und um die Fragen und Provokationen, die die aktuelleren Kunstwerke herrufen, miteinander zu besprechen.