Josef Albers. Huldigung an das Quadrat
Klaus-Peter Busse
Schon immer war das Museum Quadrat ein Anlass, durch das Emscherland nach Bottrop zu reisen. Dort gab es in den letzten Jahrzehnten wichtige und überregional bedeutsame Ausstellungen zu sehen, von Emil Schumacher, Ad Reinhard und Ulrich Erben (s. Ulrich Erben: Festlegung des Unbegrenzten), um nur einige zu nennen. Aber man reiste auch nach Bottrop, um die offene und harmonische Architektur des Museums zu genießen, eingegliedert in den schönen und gepflegten Stadtpark. Durch die Fenster des Hauses blickt man in die Gartenanlage, und so wird sie zum Teil eines gesamtheitlich gedachten Ensembles von Natur, Architektur und Kunst.
Und natürlich reist man nach Bottrop, um sich mit den Bildern von Josef Albers zu beschäftigen, der in der Stadt geboren wurde (s. Josef Albers – Aufbruch in die Moderne).
Das Museum Quadrat ist der weltweite Hotspot für eine Auseinandersetzung mit seinem Werk. In diesem Herbst und Winter verabschiedet sich der emeritierte Museumsdirektor Dr. Heinz Liesbrock mit einer großen und wichtigen Ausstellung über den Werkzyklus „Huldigung an das Quadrat“ von seinem Haus.
Josef Albers hatte von 1950 bis 1976 an dieser Bildgruppe gearbeitet.
Gleichzeitig eröffnet das Museum den Erweiterungsbau, den die Architekten Gigon/Gigon entworfen haben und der die „Josef Albers Galerie“ beherbergen soll.
Nach seiner Gründung im Jahr 1976 und nach der Fertigstellung des ersten Erweiterungsbaus im Jahr 1983, begleitet von einer Schenkung vieler Albers-Gemälde, ist heute ein Museum für die Stadtbürger*innen entstanden, das das Werk des Künstlers pflegt, Forschung betreibt und zugleich ein Bildungsangebot im Ruhrgebiet bereit stellt. Einmal mehr wird das Haus Anlass auch für Auswärtige, eine Reise nach Bottrop zu planen.
Man betritt das Museum und erfährt sofort die sinnlichen Qualitäten des Gebäudes. Noch bevor man in die Ausstellungsräume gelangt, sieht man die Anlage des Hauses zwischen Innen und Außen. Diese Wahrnehmung setzt sich in dem neuen Anbau fort.
Bei dem Wandeln durch seine Räume entlang der vielen Gemälde, Zeichnungen und Fotografien und zwischen den sorgfältig platzierten Vitrinen hindurch öffnet sich immer wieder der Blick in die Parklandschaft.
Steht man dann plötzlich vor dem Gemälde „Der Steinbruch von Bibémus“ von Paul Cézanne (ca. 1895), erinnert man sich sofort an den Blick auf den kleinen Bach, der durch die Wiesen des Museumsgeländes fließt, haben doch die Farben dieses „Fensterbildes“ eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Gemälde Cézannes, das eine besondere Geschichte hat.
Karl Ernst Osthaus besuchte im Jahr 1906 den Maler in Aix-en-Provence gemeinsam mit seiner Frau Gerda, um dort einen Ankauf von Gemälden für das von ihm gegründete Folkwang Museum in Hagen vorzubereiten. Gerda Osthaus fotografierte Szenen dieses Besuchs, wo das Ehepaar auf einen sichtlich entspannten Künstler traf.
Nachdem das Gemälde nach Hagen verkauft worden war, entdeckte es Josef Albers 1908 bei einem Besuch im dortigen Museum. Das Bild hinterließ einen bleibenden Eindruck auf den jungen Künstler, und es gelingt dem Kurator, die Wirkung dieses Gemäldes, die es auf Albers noch Jahre später hatte, nachzuvollziehen und zu dokumentieren.
Allein dieser Galerieraum ist ein Höhepunkt der Ausstellung, die beabsichtigt, die Entstehung der Werkserie nachvollziehbar zu machen. Hier zeigt sich, dass Josef Albers nicht nur Maler, sondern auch Kunstpädagoge war, der am Bauhaus, nach 1933 am berühmten Black Mountain College in Ashville und weiteren amerikanischen Hochschulen lehrte. Die Besucher*innen können erfahren, wie durch Proben, Experimente und Versuchsanordnungen mit Farben, Pinseln, Malmessern und Firnissen Gemälde entstehen. Albers mischte die Farben nicht, er entnahm sie direkt aus den Tuben. Er legte Farbkarten an und legte Farbproben nebeneinander, ähnlich der Arbeit eines Handwerkers, der sein Gewerk für seine Kunden ordnet.
Vielleicht ist deswegen die Ausstellung ein wichtiger Grund für Schulen, das Museum zu besuchen. Kinder und Jugendliche können hier lernen und sehen, wie Gemälde entstehen. Josef Albers würde das begrüßen. „Open your eyes!“ war seine kunstpädagogische Maxime.
Die Ausstellung will die Hintergründe der Entstehung der Quadrat-Bilder von Josef Albers erklären, die sehr vielfältig sind und die der sehr gute Katalog erläutert. Sie öffnet eine weitere Spurensuche nach dem Sinn von Quadraten und Rechtecken. Der Philosoph Manfred Sommer („Von der Bildfläche“; Berlin 2016) hat in seiner Studie über die „Bildfläche“ als „Archäologie der Lineatur“ beschrieben, wie menschheitsgeschichtlich und anthropologisch aus der Linie die Fläche wächst. Dies geschehe durch den Ackerbau (also durch das ergonomische Pflanzen, Graben und Wühlen entlang einer Linie auf einem Feld) und durch die Weberei, die Fäden in Rechtecken miteinander verbindet. Diese Sicht auf die Fläche wird durch andere kulturanthropologische Studien etwa von Tim Ingold („Eine kurze Geschichte der Linie“; Konstanz 2021) bestätigt. Ob Josef Albers auch so über die Entstehung dieser quadratischen Formen dachte, wissen wir nicht.
Aber immerhin war seine Frau Anni eine renommierte Textilkünstlerin, die die Arbeit am Webstuhl und das Design von Stoffen und Mustern sehr gut kannte. Zumindest hatte der Vater als Handwerksmeister von Josef Albers einen großen Einfluss auf seinen Sohn: Von ihm lernte er, mit Farben zu arbeiten und eine Tür richtig zu lackieren.
Das Ehepaar Albers wird nach der Migration in die USA und während der Reisen durch den weiten Raum wahrgenommen haben, wie sehr auch geometrische Formen die nordamerikanische Landschaft prägen. Die Landschaft Mexikos jedenfalls, die Anni und Josef Albers bereisten, hatte großen Einfluss auf ihr Farbgedächtnis. Gegenstandslos ist die Malerei von Josef Albers nicht, denn ihr Gegenstand ist das Quadrat. Das Quadrat selbst abstrahiert Wahrnehmungserfahrungen. Dies gilt für den Maler und für die Betrachter*innen in gleicher Weise. Die Ausstellung in Bottrop ist gerade aus diesem Grund so spannend. Man erfährt, wie ein Künstler mit dieser Form umgegangen ist, und sie öffnet die Augen für Erzählungen, die die Darstellungen seiner Quadrate bei den Museumbesucher*innen auslösen.
Spannend!
Das macht Lust auf eigene Erkundung.
Schöne Fotos!