Kochen Putzen Sorgen / Care-Arbeit in der Kunst seit 1960

Lothar Adam

Ausstellungsansicht

Der Gender-Care-Gap sagt aus, dass bei der Kindererziehung, Pflege von Angehörigen und Hausarbeit Frauen pro Tag im Durchschnitt 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als Männer aufwenden. Männer arbeiten häufiger in Vollzeitjobs, haben höhere Aufstiegschancen, höheres Einkommen und höhere Rentenansprüche. Obwohl dies alles seit langem bekannt ist und in der Corona-Zeit auch verstärkt in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, hat sich an diesem Zustand nichts verändert. Wenn sich nun eine Kunstausstellung diesem Thema widmet, ist die Frage berechtigt, ob es der Kunst gelingt, dieses gesellschaftliche Problem in einem neuen Licht erscheinen zu lassen und vielleicht sogar Lösungsvorschläge anzubieten.
Die erste Ausstellung des Josef Albers Museums Quadrat Bottrop unter der Regie der neuen Direktorin Dr. Linda Walther nimmt sich in Kooperation mit Forscherinnen des Kunstgeschichtlichen Instituts der Ruhr-Universität Bochum dieser Herausforderung an und zeigt im Herbst und Winter diesen Jahres die Ausstellung „Kochen Putzen Sorgen. Care-Arbeit in der Kunst seit 1960“.
Die Kuratorinnen des Josef Albers Museum Quadrat Bottrop haben sich entschieden, sich auf die Arbeiten von Künstlerinnen seit 1960 zu konzentrieren. Auf der 700 Quadratmeter umfassenden Ausstellungsfläche des Museumsneubaus präsentieren sie in acht Räumen Werke von rund 40 internationalen Künstlerinnen.
Und um die oben gestellte Frage zu beantworten: Ja, es gelingt den Künstlerinnen mittels Plakaten, Collagen, Fotografien, Videofilmen, Installationen, aber auch der guten alten Malerei die Care-Arbeit in neuem Licht darzustellen. Von der Dokumentation (es wird beobachtet, dass v.a. Frauen am Sonntagmorgen auf den Straßen von Moskau einkaufen) bis zur Schaffung neuer Kunstobjekte (bei „Pesto Cotonese“ lässt Ingeborg Lüscher aus ihren seit 20 Jahren gesammelten Flusen von Wäschetrocknersieben an Pullover erinnernde Formen entstehen) reicht das Spektrum. Häufige künstlerische Mittel sind Humor, Satire, Übertreibung und Verfremdung.

Einige Beispiele:
Letícia Parente (1930–1991, Brasilien); Tarefa (Aufgabe) I 1982: 3 Stills aus dem humorvollen / brutalen Video, in dem die weiße Künstlerin auf ein Bügelbrett klettert und sich von einer Schwarzen* Angestellten mit einem Bügeleisen bearbeiten lässt.

*Schwarz wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und keine reelle‘ Eigenschaft‘, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-Sein in diesem Kontext nicht, einer tatsächlichen oder angenommenen ‚ethnischen Gruppe‘ zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der gemeinsamen Rassismuserfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden.

Eine humorvolle bzw. zynische Installation von Tomaso Binga, die die Sichtbarkeit von Hausfrauenarbeit thematisiert.

Tomaso Binga ...& non uscire di casa (...& nicht aus dem Haus gehen), 1977 Buch zur Perfomance, hrsg. Von Lo nuova Foglio Editrice Tasche aus beschriebener Tasche, Kleid aus beschriebener Tapetentasche Beschriebene Tapete; 1976

Ein Beispiel aus dem Bereich der Fotografie von Valie Export.  Die Fotografien verweisen auf Bezüge zu bekannten Marien-Darstellungen, besonders deutlich im mittleren Bild auf Pietá-Darstellungen.

Die Strickmadonna, 1976; o. T., 1976; Die Putzmadonna / Die Putzfrau

Mein Lieblingsobjekt ist das Video, das im ersten Raum die Besucher*innen begrüßt. Großartig, wie nach und nach erkennbar wird, mit welcher zunächst unterdrückten Wut Küchengeräte vorgeführt werden.

Hier ein kleiner Filmausschnitt aus:
Martha Rosler; Semiotics of the Kitchen, 1975; Video, 6:09 min.

Eine kleine Schwäche hat diese ansonsten großartige Ausstellung dadurch, dass man bei einigen Objekten weitere Hintergrundinformationen vermisst – zumal der Ausstellungskatalog erst im nächsten Jahr erscheinen soll.

Ein Beispiel:
Mierle Laderman Ukeles
Wahing/Tracks/Maintenance: Outside, 1973
Fotografien der Performance, Ausstellungskopien

Ausstellungsansicht - eigenes Foto

Hilfreich  zum Verständnis dieser Fotoserie, die eine Performance dokumentiert, sind folgende Informationen:
Die Künstlerin schrubbt und trocknet die Stufen des Wadsworth Atheneums in Hartford, Connecticut in einer 4 Stunden dauernden Performance. Es ist das älteste öffentliche Kunstmuseum der Vereinigten Staaten. Sie legt Windeln zum Reinigen und Trocknen der Treppe aus. Den Fußgängerbereich vor der Treppe traktiert sie mit kräftigen Wischerschlägen.

Biografischer Hintergrund: Als die Künstlerin Mierle Laderman Ukeles ein Kind bekommt, fühlt sie sich in ihren künstlerischen Möglichkeiten durch die Hausarbeit behindert, sie kommt in eine künstlerische Krise.
Es ist die Zeit, als z.B. Jackson Pollock mit großen Tropfbildern den Kunstbegriff erweitert und Marcel Duchamp mit seinen Readymades allein durch die Umwidmung eines Alltagsgegenstandes zum Ausstellungsobjekt Kunst schafft.
Mit dem Wischen der Museumstreppen versucht die Künstlerin die Schwere und Belastung von Putzarbeiten vorzuführen, die nicht nur sie als Hausfrau belasten, sondern die im Hintergrund eines Museums von vielen Putzkräften – von der Öffentlichkeit unbemerkt – verrichtet werden. Das Trocknen der Treppenstufen mit Windeln verweist direkt auf die Kinderpflege als Mutter. Gleichzeitig gelingt es Ukeles mit ihrer Aktion auch ihre Autonomie als Künstlerin wiederherzustellen, indem sie mit ihrer Performance im Eingangsbereich eines Museums an die progressiven Strömungen der amerikanischen Kunst anknüpft. Eine Putzarbeit wird zur Kunstaktion, das Wischen als Befreiung von den traditionellen Wegen der Bildproduktion.

In einer weiteren Aktion 1979 und 1980 schüttelt Ukeles jedem der 8000 Angestellten der New Yorker Stadtreinigung die Hand mit den Worten: „Danke, dass Sie NY am Leben erhalten.“

Vielleicht kann eine solche Aktion Anregung für eine zukünftige Ausstellung geben, die in der Care-Arbeit eine strukturelle Ungerechtigkeit in kapitalistischen Systemen sieht, von der zwar in erster Linie Frauen betroffen sind, die aber auch andere marginalisierte Bevölkerungsgruppen betrifft, z. B. Personen mit Migrationshintergrund.

Die Ausstellung geht noch bis zum 3. März 2023!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Bernadette

    Das Quadrat ist immer ein Besuch wert

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