Karin Kneffel im Duisburger Museum Küppersmühle begeistert mit Rätseln
Lothar Adam
Es war schon merkwürdig, in einem Raum zu sitzen, den man kurz zuvor in einem Bild von Karin Kneffel gesehen hat. So passiert am 13.6.2024 auf der Pressekonferenz des Lehmbruck Museums anlässlich der neuen Ausstellung „Courage. Lehmbruck und die Avantgarde“.
Und ich konnte die Faszination erahnen, die der Glaskubus im Lehmbruck-Flügel des Museums auf Karin Kneffel ausgeübt haben muss, einer Künstlerin, die gerne durch Scheiben blickt und diesen Blick in ihren großformatigen Ölgemälden verarbeitet.
Welch eine bunte Zauberwelt ist dort zu bestaunen! Gleich fünf Fensterputzer innerhalb und zwei Fensterputzer außerhalb des Kubus, der ja eigentlich ein Außenraum (Innenhof) ist, bevölkern die Szene. Je näher man sich auf die Bilddetails einlässt, je mehr Merkwürdiges fällt auf: Der große Wischer direkt hinter der Eingangstür, für den der Mann von Karin Kneffel Model stand, ist gut erkennbar, der hinter ihm Gehende mit der Leiter wird zu einer schwarzen Silhouette, die entstehen könnte, falls starkes Licht von hinten die Szene beleuchten würde. Aber er wirft keinen dazu passenden Schatten auf den Boden. Aus dem hellen Lichteinfall vor der Tür könnte man auf ein starkes Sonnenlicht von oben und hinten kommend schließen. Aber der schwarze Fensterputzer links außerhalb des Kubus, übrigens eine Referenz an eine Fensterputzer-Figur von Diane Handson, wirft mit seinem Eimer einen Schatten nach rechts.
Eine weitere Besonderheit ist bei dem Leiterträger im Innern des Kubus zu beobachten. Im Bereich einiger Sprossen der Leiter scheint der Boden dahinter eine farbige Belebung erhalten zu haben. Doch das größte Rätsel beschert sicherlich das hintere Grün. Aber das sollten Sie selber erforschen.
Offensichtlich geht es in dem Bild bei aller realistischen Abbildgenauigkeit nicht um das Festhalten eines gesehenen Augenblicks. Karin Kneffel entwirft eine Bildwirklichkeit, in der Anspielungen auf reale Bauwerke kombiniert werden mit Figuren und Handlungen, die aus anderen Zusammenhängen stammen, worunter auch Filmszenen gehören können. In einem Museum werden normalerweise Fensterputzer nicht wahrgenommen und ggf. als störend empfunden. Die Malerin rückt in einigen ihrer Bilder die gern übersehenen Servicekräfte ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Gleichzeitig wird mit dem Thema Fenster, Licht, Klarheit auch eine philosophische Ebene angesprochen. Spätestens seit Kant wissen wir um die Subjektivität von Wahrnehmung. Wir alle schauen durch Gläser auf diese Welt und mein alter Philosophieprofessor Wolfgang Heilmann bemühte das Bild des Brillenputzens, um zu erklären, was Erkennen bedeuten könnte. Das kam mir beim Betrachten dieses Bildes in den Sinn, und vielleicht stand ich nach einiger Zeit wie die Lehmbruck Skulptur („Die Stehende“ von 1910), die rechts im Bild groß auftaucht, vor dem Bild – den Blick mehr nach innen gerichtet als nach außen.
Dass einige Bilder von Karin Kneffel auch humorvolle Züge tragen, zeigt ein Bild, in dem im Vordergrund eine Putzfrau den Boden wischt und im Mittelgrund ein Mann ausrutscht und auf dem Bauch durch den Raum segelt.
Bei dem Raum handelt es sich um den berühmten Barcelona-Pavillon von Mies van der Rohe, den er für die Weltausstellung 1929 entworfen hat und der 1986 rekonstruiert wurde. Die Architektur des Pavillons zeichnet sich – ganz im Bauhaus-Stil – neben der Betonung geometrischer Klarheit durch die Verwendung von vielen Außenwänden aus Glas aus.
Neben dem großen Hauptbild zeigt die Ausstellung in der Küppersmühle zwei kleinere Bilder, die offensichtlich in Beziehung zueinander und zu dem Pavillon stehen.
Die Skulptur „Der Morgen“ von Georg Kolbe ist im Innenhof des Barcelona-Pavillons aufgestellt. Diese Figur war 1925 ursprünglich als Pendantfigur zum „Abend“ in den Ceciliengärten, einer Wohnanlage in Berlin-Schöneberg, realisiert worden.
Das rechte kleine Bild auf der Wand scheint auf diese Figur Bezug zu nehmen.
Der erste Eindruck könnte sein, dass dieses Bild von Kneffel uns einen Blick durch eine vielleicht vom Regen beschlagene Scheibe aus dem Innenraum des Pavillons in die Ecke des Innenhofes gewährt, in der die Figur von Kolbe aufgestellt ist. Doch nicht Kolbes „Morgen“, sondern sein nicht ausgestellter „Abend“ ist hinter der Scheibe erkennbar. Wie schon bei dem Kubus aus dem Lehmbruck-Museum geht es der Künstlerin bei aller Abbildgenauigkeit nicht um die Wiedergabe eines optischen Eindrucks. Sondern genauso fließen in den Entstehungsprozess dieses Bildes kunsthistorisches Wissen und Phantasie ein – und eine fast kindliche Spielfreude, wie wir im Folgenden sehen werden.
Doch warum werden die Figuren ausgetauscht?
Zu der gedämpften Gesamtstimmung des Bildes passen tatsächlich eher die nach unten gerichtete Blickrichtung der Figur und ihre in Richtung Boden zeigende Gestik. Obwohl das Strichmännchen auf der Scheibe, vielleicht mit einem Finger von einem Kind gezeichnet, auf den ersten Blick lustig wirkt, verstärkt der nach unten gezogene Mund die wenig euphorische Stimmung des Bildes, zumal das herunterlaufende Wasser aus den Augen wie Tränen wirken könnte. Und durch was entsteht das kleine Stück der orangen-roten Kopfbegrenzung? Spiegelt sich in diesem von dem Finger verschmierten Umrissteil etwas aus dem Innenbereich des Pavillons? Weitere Rätsel gibt auch der dunkle Schatten auf, da nicht eindeutig bestimmbar ist, ob die dazugehörige Person sich vor oder hinter der Scheibe befindet. Die Bodenfliesen im Außenbereich deuten eine Position vor der Scheibe, die helle linke Hand der Figur, die übrigens auf einer merkwürdig verdrehten Plinthe steht, auf eine dahinter.
Offensichtlich hat eine neugierige Person durch eine Wischbewegung oben links versucht, eine bessere Sicht auf den Außenbereich zu bekommen. Doch das Ergebnis ist eine Verschlimmbesserung. V.a. die Rinnsale, die durch das Wischen entstanden sind, zerschneiden den verschwommenen Blick auf die Figur und erzeugen selber wieder irritierende Lichtreflexe. Bezüglich der oben angesprochenen Bemühungen um philosophische Klarsicht und Erkenntnis bekommen wir durch dieses Bild den Hinweis, dass manche spontane Aktion kontraproduktiv sein kann, aber immerhin: ein bisschen zum Schmunzeln ist das Ergebnis schon.
Ich möchte aber nicht verhehlen, dass mich bei aller Begeisterung über diese Kneffel-Ausstellung ein Bilderzyklus etwas ratlos macht. Ich meine die Doppelporträts der spätgotischen Maria-mit-Kind-Skulpturen, die Bezug nehmen auf eines der ältesten Motive im christlichen Bildkanon, der Darstellung von Maria und dem Jesuskind. Die Künstlerin gibt den Bildern dieses Zyklus, von denen wir in der Küppersmühle nur eine Auswahl sehen, den Titel: „Face of a Women, Head of a Child“. Kneffel hat über viele Jahre hinweg Fotos von Marien-Skulpturen gesammelt. Nun übersetzt sie diese in jeweils zwei erstaunlich lebendig wirkende Nahaufnahmen der Gesichter bzw. Köpfe ohne religiöses Beiwerk, wodurch die Interaktion der beiden Personen betont wird. Auffällig sind die Parallelen zwischen den Figuren, ihre Ähnlichkeit, die sie als familiär zusammengehörig ausweisen.
Aber aufpassen! Oben links das Paar ist die Künstlerin mit ihrem Sohn (vor 30 Jahren) und unten in der Mitte wurde das Paar durch Künstliche Intelligenz erzeugt.
Übrigens könnten die großen Ohren des Knaben unten rechts, die eine Abkehr von der üblichen ästhetisierenden Darstellung des schönen Knaben sind, symbolisch darauf hinweisen, dass Jesus für alle Menschen ein offenes Ohr gehabt haben soll. Aber damit sind wir wieder im religiösen Kontext. Sollte nicht gerade der, wie der Titel des Zyklus und die fehlenden religiösen Attribute nahelegen, ausgeblendet werden? Aber wenn der religiöse Kontext bewusst ausgegrenzt wird, beschränken sich dann nicht die Bilder auf die nicht besonders überraschende Erkenntnis, dass Maria und Jesus auch eine natürliche Mutter-Kind-Beziehung hatten, die nicht immer herzlich war?
Abschließen möchte ich meinen Rundgang mit einem kleineren Bild, das viele der oben angesprochenen Qualitäten der Bilder von Karin Kneffel aufweist.
Bringen Sie für diese großartige Ausstellung genügend Zeit mit: Es gibt viel auf den Bildern zu entdecken.
Kleiner Hinweis an die Ausstellungsmacher: Bei dem ein oder anderen Bild könnten Informationen zum Kontext der jeweiligen Arbeit für ein noch reicheres Verstehen hilfreich sein.